Montag, 3. August 2015

Tag 2+3: Die Tapetenflüsterinnen

Ich bin frisch ernannte Tapeten-Chefin. Nicht, weil man mir lieber keine strombetriebenen Werkzeuge in die Hand gibt. Sondern weil ich so unglaublich gut im Tapeten-Entfernen bin. Das ist ja wohl klar!

Als die Welt noch in Ordnung war
Suizidgefährdete Tapeten 

Völlig unbelastet habe ich am ersten Tag der Renovierung im zukünftigen Bad begonnen, die Tapeten von der Wand zu lösen. Eine Bahn nach der anderen. Ohne Anstrengung. In nicht einmal 20 Minuten war nur noch der (glücklicherweise gut erhaltene) Putz an der Wand. Voller Elan und nichtsahnend bin ich weiter ins Büro - auch dort war es, als hätten die Tapeten schon seit Wochen mit dem Gedanken gespielt, ihrem Leben ein Ende zu setzen und sich von der Wand zu lösen. Warum nur schaute mich Cool McCool so mitleidsvoll an? Das war ja nun wirklich keine Herausforderung!

Die Raufasertapete - Unsere neue Todfeindin

24 Stunden später: Die Raufasertapete ist unsere erklärte Todfeindin. Und mit ihr mehrere Lagen geblümter, gestreifter und karierter Tapeten aus den letzten fünf Jahrzehnten. Jahresringe am Baum sind nichts gegen die Tapetenschichten eines 60 Jahre alten Hauses. Die ersten beiden Räume sollten uns milde stimmen und ablenken. In Wahrheit hatten sich die Tapeten längst gegen uns verschworen und gaben ihren Lebensraum nicht kampflos auf.

Welches Jahrzehnt?
Man kann das kunsthistorisch interessant finden (Das Wanddesign verschiedener Generationen an Ort und Stelle vereint) oder romantisch (Ambitionierte Familienväter, trendbewusste Mütter und deren experimentierfreudige Sprösslinge haben sich hier verewigt). Man kann aber auch den Verstand darüber verlieren. Dass ich nachts vom Tapetenlösen träume, scheint mir der erste Schritt in den Wahnsinn. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann ich beginne, nachts schlafwandelnd die Wände unserer aktuellen Wohnung mit Tapetenwolf, Spachtel und Spülmittel zu traktieren. Ich habe Cool McCool gebeten, Vorsichtsmaßnahmen zu treffen.


"Ich helfe nicht Menschen, die Probleme mit Tapeten haben, sondern Tapeten, die Probleme mit Menschen haben." 
(frei nach Tom Booker, dem Pferdeflüsterer)

Auf der anderen Seite habe ich dank tatkräftiger Unterstützung (Danke Agnes!) gelernt, mit den Tapeten zu kommunizieren. Mich in sie hineinzuversetzen. Das gelbe Exemplar ist wasserscheu, ihre rosa Schwester hingegen liebt mehrere Tauchgänge. Die Feuerrote ist stur, hartnäckig und unbelehrbar. Ich werde mit ihr nicht warm, nur Agnes kann sie zähmen. Die meisten brauchen mehrere Sitzungen, bis sie ihre harte Schale abwerfen und ihr weicher Kern zum Vorschein kommt. Ist das Eis aber erst einmal gebrochen, sind sie Wachs in unseren Händen.

Die unbelehrbare Rote 

Mein Motto für die nächsten Wochen steht auf jeden Fall fest:
 "Wenn wir nicht im Dreck stecken bleiben, kommen wir gestärkt wieder raus."
(aus: Der Pferdeflüsterer)






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